Ad libitum Tränke bei Kälbern
Lange Zeit hielt sich die Empfehlung, Kälber restriktiv zu ernähren und damit eine schnelle Futteraufnahme und zügige Pansenentwicklung zu fördern. Seit einiger Zeit jedoch gibt es eine komplett gegensätzliche Empfehlung: die ad libitum Tränke bei Kälbern. Immer mehr Landwirte folgen dieser Empfehlung und bieten dem Kalb "unbegrenzt" Milch an. So kann das Kalb nach eigenem Belieben trinken, wann immer es will. Das hat den Hintergrund, dass Kälber erst ab der vierten Woche nennenswerte Mengen an Grund- und Kraftfutter aufnehmen und verstoffwechseln können, um ihren Bedarf zu decken. Vorher muss der Bedarf über die Milchtränke gedeckt werden.
Doch warum erfreut sich die ad libitum Tränke immer größerer Beliebtheit? Zu Beginn des Kälberlebens ist das junge Tier ganz einfach auf die Inhaltsstoffe und Nährstoffe der Milch angewiesen. Eine höchstmögliche Aufnahme von Milch versorgt das Kalb optimal, verringert so das Krankheitsrisiko und erhöht das Wachstumspotenzial. Aber die unbegrenzte Aufnahme von Milch hat nicht nur positive Effekte auf den Moment, sondern beeinflusst vielmehr auch das spätere Leistungsvermögen der Tiere positiv. Diese Tatsache wird auch als "Metabolische Programmierung" bezeichnet. Ein kurzfristiger Ernährungsstimulus beeinflusst dabei nachhaltig die Entwicklung bestimmter Organe.
Eine intensive Ernährung des sehr jungen Kalbes führt zum beispiel zu einer verstärkten Ausbildung der Langerhans'schen Inseln der Bauchspeicheldrüse. Diese sind im Bedarfsfall in der Lage, eine größere Menge an Insulin zu bilden und dadurch eine höhere Futteraufnahme zu ermöglichen. Später lässt sich die Größe und Zahl der Langerhans'schen Inseln nicht mehr beeinflussen. Aber was bedeutet das konkret?
Wird ein Kalb mit der ad libitum Tränke aufgezogen, dann ist es sein gesamtes Leben lang in der Lage, mehr Futter aufzunehmen. Eine hohe Futteraufnahme ist vor allem in der Hochleistungsphase von Milchkühen von entscheidener Bedeutung für die Gesunderhaltung und letztlich auch bedeutend für eine hohe Milchleistung.
Wie funktioniert die ad libitum Tränke?
Das neugeborene Kalb sollte die erste Biestmilch so schnell wie möglich erhalten, am besten noch in der Abkalbebox (mindestens in den ersten 2-3 Stunden nach der Geburt). Außerdem sollte auch so viel Biestmilch wie möglich von dem Kalb aufgenommen werden. Diese Milch sollte direkt so, wie sie aus der Kuh kommt dem Kalb verabreicht werden. Das restliche Erstgemelk wird auf unter 30°C abgekühlt und schließlich mild angesäuert (pH 5,5). Das ist notwendig, um eine Vermehrung von Coli-Bakterien, welche evtl. in die Milch gelangt sind, zu unterbinden. Wird die Milch zu stark angesäuert leidet die Akzeptanz der Kälber. Zur nächsten Mahlzeit wird alles gut durchgerührt und evtl. auf 30°C aufgewärmt. Da Biestmilch oft nicht die gewünschte Qualität hat, ist es sinnvoll, Kolostrumergänzer einzusetzen. Die Vollmilch im weiteren Verlauf kann mit einem Vollmilchergänzer aufgewertet werden.
Die zweite Mahlzeit besteht aus dem angesäuerten Rest der Biestmilch. Es sollten etwa 4-5 Liter angeboten werden. Reicht das Erstgemelk nicht aus, kann es mit dem zweiten Gemelk verschnitten werden. Durch die Ansäuerung findet eine Vorverdauung statt, weshalb die optimale Tränketemperatur von untergeordneter Bedeutung ist. Vor der nächsten Mahlzeit muss der Rest ausgeleert (kann z.B. älteren männlichen Kälbern gegeben werden) und der Eimer neu befüllt werden. Dabei sollte immer etwa ein Liter mehr aufgefüllt werden, als die tatsächliche Tränkemenge der letzten Mahlzeit war. Wurden beispielsweise 3 Liter getrunken, sollten 4 Liter aufgefüllt werden. Das ist wichtig, damit immer ein Rest übrig bleibt und das Kalb zu keinem Zeitpunkt ein Hungergefühl verspürt.
Einmal am Tag sollte der Eimer gereinigt und der Nuckel durchgemolken werden. Nach dem Zeitraum der ad libitum Tränke müssen Eimer und Nuckel gründlich gereinigt und desinfiziert werden.
Optimal ist eine Dauer von 3 Wochen für die ad libitum Tränke. Ab der zweiten Woche sollte den Kälbern zusätzlich Wasser und sehr gutes Heu angeboten werden.
Auch männliche Kälber können problemlos ad libitum ernährt werden. Die Sorge um einen höheren Milchverbrauch ist unberechtigt. Männliche Kälber, die ad libitum getränkt werden, nehmen zwar viel Milch am Tag auf, wachsen jedoch auch schneller und können früher verkauft werden. Die absolute Milchmenge ist demnach in etwa gleich hoch wie bei restriktiver Fütterung. Tageszunahmen von 1000 Gramm pro Tag sind keine Seltenheit. Daher sind weniger Einzelplätze notwendig und der Arbeitsaufwand pro Kalb verringert sich.
Der Kot von ad libitum getränkten Kälbern ist grundsätzlich etwas weicher und es wird auch eine größere Menge abgesetzt. Durchfall ist das aber nicht. Sollte wirklich mal ein erregerbedingter Durchfall auftreten, sollte trotzdem die Milchtränke nicht unterbrochen werden, es sollte jedoch ein zusätzlicher Eimer mit einer Elektrolyttränke angeboten werden.
Für die ad libitum Tränke ist am besten Vollmilch geeignet, oder aber Milchaustauscher mit mindestens 50% Magermilchpulver. Wichtig ist, dass sich das angemischte Produkt auch nach längeren Standzeiten nicht entmischt.
Nach der ad libitum Tränkezeit sollten die Kälber schrittweise entwöhnt werden, z.B. jeweils 2 Wochen mit 8, dann mit 6, 4 und schließlich mit 2 Litern Milch pro Tag.
Welche Vorteile ergeben sich?
- mehr Biestmilch kann verwertet werden
- Kälber nehmen mehr Milch und Nährstoffe auf
- Kälber sind gesünder und vitaler
- Durchfallhäufigkeit sinkt, auch durch die Ansäuerung der Milch
- Durch die Ansäuerung spielt die Tränketemperatur keine Rolle, was gerade bei kälteren Außentemperaturen positiv ist
- Höhere Grund- und Kraftfutteraufnahmen bei Kälbern
- durch bessere Nährstoffversorgung bilden sich mehr Zellen bei den inneren Organen aus, auch mehr Euterdrüsengewebe, wodurch diese Tiere später eine höhere Milchleistung haben
- bei männlichen Kälbern ist der Milchverbrauch in der Regel nicht höher, da sie jünger verkauft werden können
Und welche Nachteile hat die ad libitum Tränke?
- Milchverbrauch der weiblichen Kälber höher
- bei tiefen Temperaturen können Ventil und Nuckel einfrieren
- vor der nächsten Tränke muss der Rest der Milch ausgeleert werden
- es gibt immer mal Kälber, die keine Sauertränke annehmen